Sonntag, 29. Mai 2016

REZENSION: Endlich angekommen



Titel:        Endlich angekommen
Autorin:      Chira Brecht
Seiten:        320
Verlag:        Krug & Schadenberg


Kurzinhalt (Verlagstext):

Auf einem Medizinkongress trifft Dr. Verena Gessner, Unfallchirurgin an einer Münchner Klinik, ihre frühere Studienkollegin Mona Grafenbach wieder. Mona war damals schon in Verena verliebt, wie sie ihr bei dieser Gelegenheit erzählt. Verena, seit Jahren verheiratet, ist verunsichert. Mona geht ihr nicht aus dem Sinn. Als sich die Gelegenheit bietet, Mona beruflich in Berlin zu treffen, fiebert Verena der neuerlichen Begegnung entgegen. Doch stattdessen gerät sie an die Kollegin Anna Conrad. Anna macht Verena deutliche Avancen und begleitet sie schließlich auf ihr Hotelzimmer. Am nächsten Morgen folgt ein böses Erwachen: K.O.-Tropfen haben Verena ausgeknockt. Sie wurde vergewaltigt. Völlig verstört verlässt sie das Hotel und verursacht einen schweren Verkehrsunfall.

Im Laufe der nächsten Wochen erholt sich Verena von den Unfallfolgen, doch das traumatische Erlebnis mit Anna Conrad blendet sie strikt aus. Erst als sie begreift, dass sie sich dem Erlebten stellen muss, gewinnt Verena ihre Tatkraft zurück und kann ihr Leben wieder in die Hand nehmen. Neue Perspektiven eröffnen sich – beruflich wie privat.


Meine Meinung:

„Endlich angekommen“ klingt nach einer langen Reise, nach einem Weg, den man hinter sich bringen muss, um „endlich anzukommen“ an dem Ort, an dem man eigentlich sein möchte.

Und tatsächlich steht von Beginn des Buches an die unterdrückte Homosexualität von Verena im Mittelpunkt, die einen Medizinkongress fernab ihrer Familie nutzt, um endlich das auszuleben, was sie so lange innerlich verleugnet hat.

Also die x-te Coming out- Geschichte? Das so häufige Erkennen, dass der Mann zuhause nicht der richtige Abzweig auf oben erwähntem Weg war und Frauen eben doch das schönere Geschlecht sind?

Die Frau auf dem Cover scheint jedoch den Weg noch zu gehen. Auffällig ist, dass sie im Schatten läuft, der LeserIn den Rücken dabei zudreht, sich von ihr abwendet.

Als würde sie weglaufen, als wollte sie nicht erkannt werden.

Denn Verena erlebt das homoerotische Abenteuer mit einer Frau, die sie körperlich anzieht. Und dann vergewaltigt.

Ist so etwas möglich? Ist es! Es war einer der prägendsten Sätze des Buches, der mir noch tagelang im Kopf herumschwirrte, mich betroffen und nachdenklich machte:

„Okay, Süße. Wir haben es auf deine Art getrieben, nun machen wir es auf meine.“



Dieser eine Satz lässt die ganze vorherige Atmosphäre des scheinbar sinnlichen Miteinanders und des Einverständnisses zwischen zwei Frauen so unerwartet umschlagen in tatsächliche Hilflosigkeit und ein Ausgeliefertsein, dass man sich selbst als Leserin plötzlich unter falschen Tatsachen in das Hotelzimmer gelockt fühlt.

Hier geht es um kein erotisches Lesevergnügen, um ein neuartiges Haut-an-Haut und das folgende Coming out einer Frau.


Es ist der Autorin hoch anzurechnen, dem Thema sexuelle Gewalt durch Frauen in ihrem Buch eine derartige Realität zu geben. Doch wenn man glaubt, dass damit ein wichtiges Sujet literarisch abgehakt wurde, der irrt.

Denn der eigentliche Verdienst Chira Brechts besteht darin, das Opfer, Verena, danach verstummen und damit im Schatten des Covers verschwinden zu lassen.
Verena möchte einfach nur vergessen und sucht, wie so viele vor ihr, die ähnliches erlebt haben, die Schuld bei sich selbst.

Dabei rückt auch die Tatsache, dass es sich um eine Vergewaltigung durch eine Frau handelt, in den Mittelpunkt und was dies in der öffentlichen Wahrnehmung bedeuten würde.
Es scheint, als würde die Unmöglichkeit der Gewaltanwendung durch Frauen zu einer Unmöglichkeit führen, gegen diese vorzugehen.

So besteht Verenas Weg für viele Seiten des Buches „nur noch“ darin, ihr eigentliches Leben wieder aufzunehmen und sich gegen gut meinende Menschen zu wehren, die sich irgendwann nur noch hilflos fühlen.

Dass ein schweigendes Weitergehen jedoch nicht so einfach möglich ist, zeigt die Autorin sehr eindringlich und mehr als einmal möchte man die Protagonistin abwechselnd schütteln, um sie dann wieder tröstend in den Arm zu nehmen.


Fazit:

Auch wenn die Täterin für mich im Rest des Buches zu sehr in den Hintergrund rückt und die eigentliche „Ankunft“ Verenas nachher eine sehr plötzliche ist, handelt es sich bei  „Endlich angekommen“ um einen sehr wichtigen Beitrag bezüglich einer noch weitgehend verschwiegenen Thematik.


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