Montag, 29. Mai 2017

REZENSION: Hinter dem Schein die Wahrheit


Titel: Hinter dem Schein die Wahrheit
Autorin: Claudia Breitsprecher
Seiten: 302

Verlag: Krug und Schadenberg



Kurzinhalt:

Seit ihrer Kindheit verbindet sie eine enge Freundschaft: die eigenwillige Annette Vogl, die in Konventionen gefangene Karin Schmitz und den Außenseiter Holger Baumgartner. Annette entdeckt ihre Liebe zu Frauen, Karin strebt eine Karriere beim Ballett an und Holger möchte Pfarrer werden, aber die strengen Regeln der katholischen Provinz legen ihnen Hindernisse in den Weg, die sie in ihrer Jugend nicht überwinden können.
Als viele Jahre später Karins 17-jähriger Sohn Jacob von Gleichaltrigen verprügelt wird und fürchtet, dass die Schläger ihn als schwul outen, taucht er unter, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Karin ruft Annette und Holger zu Hilfe, und die Suche nach dem Jungen wird für alle drei zum Anlass, sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen. Was lange verborgen blieb, drängt ans Licht und ruft Erinnerungen wach an verlorene Liebe, vergebene Chancen und die Suche nach einem Platz in der Welt. Die Gefühle wirbeln durcheinander, und mit jeder Stunde, die Jacob verschwunden bleibt, spitzt sich die Lage zu ...


Meine Meinung:

Ich liebe Bücher, die in der speziellen Atmosphäre eines Dorfes spielen - Dörfer, die ihren eigenen Regeln und Gesetzen folgen und durch ihre innere Abgeschlossenheit oft unüberwindbar scheinende Schranken in die Herzen ihre Bewohner gepflanzt haben.

Solch eine Umgebung ist vor allem eins: Klein. Auch im Denken.

Bis heute scheint es insofern leider noch undenkbar, sich in einer solchen Umgebung als homosexuell zu outen.
Schlimmer noch: geoutet zu werden.

Als Mitschüler das Handy von Jacob stehlen, befürchtet er genau das.

Tatsächlich sind es in diesem konservativen Dorf ausgerechnet die modernen Medien, die ihm zum Verhängnis werden können: In Zeiten des Internets ist es ein Leichtes Informationen innerhalb von Sekunden mit zahlreichen Menschen zu teilen.
Und im Prinzip unmöglich, diese zurück zu holen.

Kopflos sieht er seinen einzigen Ausweg zunächst darin, abzutauchen und im Dorf von der Bildfläche zu verschwinden.


Doch es ist eigentlich nicht Jakob, der im Mittelpunkt dieses Buches steht, auch wenn alles mit diesem seinem Verschwinden beginnt.

Vielmehr führt das Ausbrechen aus der Beschaulichkeit der Dorfatmosphäre, zu einem Spalt, den er damit in die verschlossenen Türen des Dorfes schlägt (symbolhaft auch auf dem Cover des Buches dargestellt), aus dem mit jeder Buchseite die Erinnerungen der Generation vor ihm drängen, die lange Zeit dahinter verschlossen schienen.

Tatsächlich verbirgt dieser titelgebende "Schein" letztlich nur "die Wahrheit".

"Sie betrachtete das glückliche Kindergesicht, hielt es fest, so lange sie konnte, bis es verblasste und im Auf und Ab der krzen Wellen verschwand. Das Wasser schwappte im Weiher, die Angst schwappte unter ihrer Haut. " (s. 140)

Denn auch seine Mutter, deren beste Freundin und ihr gemeinsamer Freund Holger waren in den 70er und 80er Jahren mal Kinder, Jugendliche und SchülerInnen in diesem Dorf.

Und je länger man liest, umso deutlicher wird es, dass jeder der Protagonisten auf seine eigene Art durch diese Umgebung und seine Bewohner geprägt worden ist - und in gewisser Weise weiterhin gefangen.

Erst indem sie sich nun nach und nach ihrer Vergangenheit stellen, gelingt es ihnen, über neue Wege nachzudenken.

Claudia Beitsprecher versteht es in diesem Kontext wieder meisterlich, lebendige und komplexe Figuren zu zeichnen, die derart realistisch wirken, dass man froh ist, mit dem Buch in der Hand auf der heimischen Couch zu liegen und nicht Bewohner so eines Dorfes zu sein.

Und bewundert sie gleichzeitig für ihre Beobachtungsgabe, die solch eine Authentizität in jedes ihrer Bücher zaubert.



Fazit:

Auch wenn das Buch sicher noch einige Wendungen hätte beinhalten können, scheint es nur folgerichtig, dass man den Protagonisten in ihren langsam aufbrechenden Denkstrukturen zum Schluss hin Auswege eröffnet und nicht noch weitere Steine in den Weg legt.


Bereits von mir von Claudia Breitsprecher rezensiert:

1 Kommentar:

  1. Das klingt interessant, zumal ich auch Bücher gern mag, in denen Gegenwart und Vergangenheit miteinander verwoben werden. Der Roman ist mal auf meiner Wunschliste gelandet. :-)

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